Begleitung 3. Prozesstag, 18. April 2013, Strafkammer 21, Schwurgericht 1

Am heutigen Prozesstag werden die beiden Sanitäter, Alexander Erhut, 43 Jahre, und Raphael Kiel, 48 Jahre, zum Tathergang gehört. Die Vernehmungen dauern 3,5 bzw. 2 Stunden.

Während der Befragung der Sanitäter werden das Vernehmungsprotokoll der Polizei, sowie das Stichwortprotokoll über den Verlauf des Einsatzes der Sanitäter teilweise verlesen und mit den geäußerten Erinnerungen an den Tathergang abgeglichen. Das Sichtwortprotokoll hatten die beiden Sanitäter am 29.12. verfasst, da sie sich sicher waren, dass der Fall „noch ein Nachspiel haben würde“ (Kiel).

Die Aussagen der Sanitäter decken sich in vielen Punkten, weshalb die einzelnen Befragungen nicht gesondert aufgeführt werden. Etwaige Unterschiede zwischen den Aussagen der beiden Sanitäter sind an den entsprechenden Stellen vermerkt.

Zum Verlauf des Einsatzes:
Beide Sanitäter berichten, dass sie Condé in aufrechter Haltung mit möglicherweise gefesselten Armen und Beinen angetroffen haben (hier haben beide keine sichere Erinnerung mehr); die Fesseln hätten jedoch in jedem Fall zur Behandlung abgenommen werden müssen. Möglicherweise hatte Condé von Beginn an Schaum vorm Mund – eine klare Erinnerung hat Erhut hieran jedoch nicht. Er erinnert sich außerdem nicht mehr daran, ob Condé zu Beginn ansprechbar war. Sicher erinnert er, dass kein Gespräch zwischen Condé und den Sanitätern stattgefunden hat. Kiel berichtet, dass Condé beim Eintreffen der Sanitäter nicht ansprechbar gewesen sei. Er habe verengte (stecknadelkopfgroße) Pupillen gehabt, weshalb die beiden Sanitäter eine Intoxikation durch Heroin vermuteten und einen Antidot spritzen wollten, was der Notarzt jedoch nach seinem Eintreffen unterband, weil dies hier nicht helfen würde. Beim Legen eines venösen Zugangs in den Handrücken habe Condé nicht reagiert, was Kiel zufolge ungewöhnlich gewesen sei, da dies durchaus schmerzhaft sei. Kiel vermutet außerdem, dass sie Condés Augenlider hochziehen mussten, da seine Augen vorher geschlossen waren. Kiel kann sich an keine Anzeichen einer Zyanose (Blauverfärbung z.B. des Gesichtes oder der Gliedmaßen) bei Ankunft erinnern. Erhut wurde zu einer möglichen Zyanose nicht befragt.

Zur Bestimmung der Vitalwerte schließen sie ihr eigenes Messgerät an, da das von Volz angeschlossene Gerät vermeintlich defekt ist. Nach dem Messen der Vitalparameter (Blutdruck, Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung, Blutzucker) seien die Sanitäter zunächst von einem akzeptablen Allgemeinzustand Condés ausgegangen. Lediglich die Sauerstoffsättigung von nur 89% sei schlecht gewesen, weshalb die Sanitäter den Oberkörper runterlegen und den Hals nach hinten überstrecken. Daraufhin habe sich die Sättigung wohl verbessert. Unklar ist, ob Sauerstoff gegeben wurde, oder nicht. Beide können sich nicht daran erinnern, im Stichwortprotokoll der Sanitäter finden sich jedoch Angaben über die Gabe von Sauerstoff. In der Folge wurden die Vitalparameter permanent überwacht und gegenüber dem Notarzt, nachdem er eintraf, kommuniziert. Beide Sanitäter erwähnen, dass der eingetrübte Eindruck, den Condé auf sie gemacht habe, nicht den Vitalparametern entsprach, die sie beide für unbedenklich hielten. Daher vermuteten beide, Condé könne simulieren. Diese These sieht Erhut durch die Tatsache unterstützt, dass Condé offenbar die Zähne zusammenpresste, um – wie er interpretiert – zu verhindern, dass eine Kugel herausgeholt werden konnte, wovon er eine aktiv gesehen hat und aussagt, dass Condé eine Kugel noch versteckt hätte (Kiel hingegen hat keine Erinnerung daran, dass Condés Mund gewaltsam hätte geöffnet werden müssen). Dem entgegen stellt Erhut fest, dass Pupillen nicht bewusst verengt werden können.

Nun trifft der Notarzt ein, der – den Erinnerungen Erhuts zufolge – den Patienten nur kurz ansah, aber nicht untersuchte. Kiel geht davon aus, dass der Notarzt Condé untersucht haben muss, hat aber keine Erinnerung mehr daran, wie. In der Folge setzte sich der Notarzt an einen Tisch, von dem aus er Condé jedoch nicht beobachten konnte. Der Notarzt habe sich nicht am Geschehen beteiligt, sondern das Protokoll des Einsatzes begonnen. Er wurde permanent von den Sanitätern über den Zustand des Patienten unterrichtet. Auf Volz dreimalige Nachfrage, ob er weitermachen dürfte, habe der Notarzt geantwortet: „Machen sie, was sie wollen“ (Erhut), bzw. „Das ist mir egal“ (Kiel). Volz entschied sich also fürs Weitermachen und die beiden Sanitäter unterstützten ihn dabei. In ihrem Einsatzprotokoll erwähnen die Sanitäter in zudem, dass die von Volz gelegte Magensonde durch die Nase aus dem Mund von Laye Condé wieder herausgekommen ist und erneut durch die Nase gelegt werden musst. Erhut habe ein Gefäß mit Wasser gefüllt und es Volz gereicht, der Condé dann über die Magensonde das Wasser zuführte. Als Volz begann, mit einer Pinzette den Brechreiz manuell herbeizuführen, möglicherweise, weil Condés körperliche Reaktionen auf das Brechmittel bereits nicht mehr funktionierten, habe Kiel im Rettungswagen einen Holzspatel geholt. Wieviel Wasser Volz Condé im Verlauf zugeführt hat, können beide nicht sicher sagen. Sie vermuten jedoch, dass Volz mindestens einmal eine 200ml Spritze aufgefüllt und Condé zugeführt haben soll. Irgendwann während dieser Sequenz sieht Erhut eine Kugel im Mundwinkel Condés, die aber nicht von Condé zurückgehalten wird, sondern einfach rausgeholt werden kann.

Condé trübte im weiteren Verlauf immer weiter ein, die Vitalparameter wurden kontinuierlich schlechter (hier wird nicht klar, wie sich der Verlauf gestaltete: Wurde es plötzlich oder kontinuierlich schlechter? Von welchem Zeitraum wird gesprochen?), die Herzfrequenz fiel unter 25. Weder Volz, noch der Notarzt reagieren zunächst hierauf, obwohl Erhut aussagt, dass Kiel die Werte in dem Raum bzw. in Richtung seines Einsatzleiters (Notarzt Günter) gerufen hätte. Volz habe einfach nur dagestanden und sei völlig überfordert gewesen: „Er war eigentlich hilflos“ (Erhut). Die Pupillen Condés weiteten sich. In Folge ist ein Herz-Kreislauf-Stillstand erkennbar, woraufhin nun auch der Notarzt nach Ansage der Sanitäter von seinem Tisch aufgestanden sei und die Reanimation begonnen hätte. Die Intubation scheiterte zunächst, weil zu viel Wasser in und zu viel Schaum vor dem Mund Condés gewesen sei. An einen Hustenanfall Condés kann sich keiner der Sanitäter erinnern. Bei der Herzdruckmassage kam – nach der Erinnerung Erhuts – Schaum aus dem Mund. Kiel hat keine Erinnerung an Schaum vor Mund und/oder Nase. Ebenfalls wurde Atropin intravenös verabreicht. Nach der Reanimation habe sich der Zustand Condés zunächst gebessert, allerdings habe er nun sehr weite Pupillen bekommen. Die Sanitäter hätten nun begonnen, Wasser abzusaugen. Der Boden war nun voller Wasser. Zwischen dem Einsetzen der Bradykardie (Herzfrequenz bei 23) und der erfolgreichen Intubation vergehen 2 bis 3 Minuten.

Im Rettungswagen habe der Notarzt dann gesagt: „Ertrunken“. Erhut selbst habe noch nie einen Ertrunkenen gesehen, er habe bis zum Ende – ebenso wie Kiel – eine Drogenvergiftung vermutet. Im Krankenhaus habe der Notarzt geweint und gesagt: „Ich habe ihn sterben lassen“. Den Vorstoß Erhuts, noch einmal mit ihm über die Situation und die Unzufriedenheit der Sanitäter mit seinem – aus ihrer Sicht – passiven Verhalten zu sprechen, lehnt der Notarzt ab und verlässt die Klinik.

Condés Zustand in der Interpretation der Sanitäter:
Aufgrund der engen Pupillen vermuteten beide Sanitäter eine Drogenvergiftung mit Heroin („eine Kugel könnte geplatzt sein“). Beide behaupten, dass sie Condé, nachdem sie direkt nach ihrem Eintreffen die Vitalparameter kontrolliert haben, die eigentlich unauffällig waren, lieber ins Krankenhaus mitgenommen hätten – aufgrund der Vermutung einer Vergiftung. Ein Ertrinken vermuteten beide nicht.
Anmerkung: Beide betrachten die Situation also durchaus als bedrohlich. Somit bleibt die Frage offen, warum beide an der Verschärfung der Situation – also durch das Holen des Holzspatels bzw. das Holen eines mit Wasser gefüllten Gefäßes – beigetragen haben. Ihre Begründung, der Notarzt sei ihnen gegenüber weisungsbefugt, trägt hier nicht, da der Notarzt zu keinem Zeitpunkt die Fortführung der Situation angeordnet zu haben schien, sondern sich lediglich indifferent gezeigt habe.

Zur Rolle des Notarztes aus der Sicht der Sanitäter:
Beide Sanitäter sind unzufrieden mit dem Engagement des Notarztes. Es entsteht der Eindruck, als ob sie ihn für den Hauptschuldigen halten, da er dem aus ihrer Sicht verunsicherten Volz Hilfe und Unterstützung verweigert habe. Die Sanitäter hätten den Notarzt permanent über Condés schlechter werdenden Zustand unterrichtet. Außerdem haben bestimmte Geräte gepiepst, sobald verschiedene Vitalwerte kritisch wurden. Der Notarzt habe nicht reagiert.
Anmerkung: Möglicherweise entstand hier ein Verantwortungsvakuum, das niemand so recht füllen wollte. Volz schien die volle ärztliche Verantwortung nicht mehr übernehmen zu können oder zu wollen, der Notarzt schien sich gleichzeitig nicht in der Position zu sehen, diese Verantwortung tragen zu können oder zu wollen. Laut Kiel hat er über Condé gesagt: „Das ist nicht mein Patient“. Hier stellt sich dann die Frage, warum der Notarzt auf Volz´ Bitten hin dennoch geblieben ist, obwohl die Sanitäter die Situation zunächst als ungefährlich eingestuft haben. Kiels Interpretation ist, dass der Notarzt auch überfordert und ihm die Situation, zu der er gerufen wurde, unangenehm war. Er habe sich während des gesamten Prozesses vom Geschehen distanzieren wollen. Offenbar habe er verstörend gefunden, was mit Condé auf dem Revier geschah und sich deswegen so wenig eingemischt.

Außerdem habe der Notarzt, nachdem eine EKG-Elektrode abgefallen ist, es nicht für nötig gehalten, die Elektrode wieder zu befestigen, nachdem das EKG zunächst ohne Befund war. Die Sanitäter widersetzen sich und befestigen das EKG erneut. Nur so konnte die Bradykardie diagnostiziert werden, die die Reanimation nach sich zog. Dieses Verhalten des Notarztes deuten die beiden Sanitäter ebenfalls so, dass er sich aus der Situation und seiner Verantwortung zurückgezogen habe.

Volz aus der Sicht der Sanitäter:
Volz erschien beiden Sanitätern aufgeregt und unsicher. Er bat den Notarzt – auch nachdem Condés Zustand zu Anfang als unbedenklich eingestuft wurde – noch 10 bis 15 Minuten zu bleiben. Die beiden Sanitäter äußern sich auffallend wenig über Volz und seine Rolle in der Situation. Auf Nachfrage betonen sie immer wieder, dass lediglich der Notarzt ihnen gegenüber weisungsbefugt sei und sie deshalb auch nur mit dem Notarzt zusammenarbeiten, dessen Verhalten beide folglich kritisieren und als grob fahrlässig darstellen: „Wir reden immer nur mit dem Einsatzleiter“. Volz erscheint in ihren Darstellungen eher als das Opfer des Notarztes, denn als Täter.

Gericht: Vorsitzende Richterin am Landgericht: Lätzel
Richter am Landgericht: Kemper
Richter am Landgericht: Cornelius
Schöff_innen: Rentner Rolf Gagelmann
Waltraud Asbeck
Staatsanwalt: Staatsanwalt
Sachverständige: Prof Dr. h.c. Volkmar Schneider
Prof. Dr. med. Klaus Eyrich
Verteidiger: Erich Joester
Nebenklage: Dr. Elke Maleika

Nächste Sitzung: 16.05. 9:15

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