Einstellung im ‚Bremer Brechmittel-Prozess‘?‘ Unsere Erklärung vom 21.05.

Bremen, 21.05.2013

Einstellung im „Bremer Brechmittel-Prozess“ ?

Sehr geehrte Damen und Herren,
als Beobachter_innen des „Bremer Brechmittel-Prozesses“ wegen der Tötung von Laye Condé vor acht Jahren sind wir äußerst besorgt über den bisherigen Verlauf dieses Prozesses. Es gibt ernstzunehmende Anzeichen, dass der Prozess gegen den brechmittelvergebenden Arzt vom Gericht in Absprache mit Verteidigung und Staatsanwaltschaft eingestellt werden könnte. Wir sind deshalb in großer Sorge. Gegen eine Einstellung können keine Rechtsmittel mehr vor einem höheren Gericht eingelegt werden – die juristische Aufklärung des Todes von Laye Condé im Rahmen einer polizeilichen Maßnahme käme zum Ende und bliebe ohne jedes Ergebnis.

Beide bisherigen Freisprüche des Bremer Landgerichts (LG) 2008 und 2011 wurden vom Bundesgerichtshof (BGH) jeweils eindeutig aufgehoben. Den ersten Freispruch hielt der BGH für offensichtlich unbegründet, den zweiten Freispruch bezeichnete er als „grotesk falsch“.

Wir sind keine Jurist_innen. Wir haben jedoch den deutlichen Eindruck, dass das LG in zweierlei Hinsicht seiner Sorgfaltspflicht nicht nachkommt. Zum einen zeigt die bisherige Prozessbeobachtung, dass die Tötung von Laye Condé in dem Punkt nicht ausermittelt wird, die selbstverständlich und zentral sein sollte für den Prozess: nämlich den Anteil, den der angeklagte Arzt an diesem Tod trägt. Zum anderen ist das LG Bremen unserer Einschätzung nach auf dem besten Wege, seine Weisungsgebundenheit an höhere Gerichte, namentlich dem BGH, zum wiederholten Male zu missachten. Im ersten Urteil rügte der BGH, dass lediglich wegen fahrlässiger Tötung verhandelt worden war. Er verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück und verlangte, dass eine Schwurgerichtskammer wegen Körperverletzung mit Todesfolge verhandele. Damit verlangte der BGH, dass nicht wegen eines Vergehens sondern wegen eines Verbrechens zu verhandeln sei.
Auch dieses Verfahren endete mit Freispruch für den angeklagten Polizeiarzt. Wiederum ging die Staatsanwaltschaft Bremen nicht in die Revision, sondern überließ dieses der Opferfamilie.

In seinem zweiten Urteil rügte der BGH das Bremer Landgericht zunächst, sich nicht an die eindeutigen Vorgaben des BGH gehalten zu haben. Bei dem festgestellten Sachverhalt sei eine andere Entscheidung als eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge „grotesk falsch“. Dabei spielte der BGH auf die Besonderheit in diesem Fall an, dass der agierende Polizeiarzt mit seiner Brechmittelvergabe und der Zuführung von ca. 1 Liter Wasser weitermachte, obwohl ein Kokainkügelchen (0,4 g) bereits erbrochen worden war und Laye-Alama Condé in so erhebliche gesundheitliche Probleme geraten war, dass ein Notarzt gerufen werden musste.

Dieses Weitermachen verstieß – so der BGH – gegen elementare Grundrechte, wie die allgemeine Menschenwürde und die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Leben. Dieses Weitermachen war damit auch nicht mehr durch polizeiliche Strafverfolgungsermäch-tigungen gerechtfertigt, da jegliche Verhältnismäßigkeit abhanden gekommen war. Unmissverständlich hatte der BGH deshalb festgestellt, dass die zwangsweise Brechmittelvergabe durch den angeklagten Arzt ab dem Eintreffen des Notarztes als „vorsätzliche rechtswidrige Körperverletzung“ zu betrachten ist.

Nunmehr versucht das Bremer Landgericht offenbar, zu einer anderen als der bereits zweimal erfolgten Sachverhaltsfeststellung zu kommen. So legt das Gericht kein besonderes Augenmerk darauf, was der Angeklagte wann und wie ganz genau getan oder unterlassen hat. Das kann nur bedeuten, dass das Gericht den Sachverhalt so verändern will, dass es zum Vorwurf der fahrlässigen Tötung zurückkommen will. Einen solchen Vorwurf könnte das Gericht dann einstellen, ohne dass die Opferfamilie dies verhindern oder etwa durch eine weitere Revision zum BGH anfechten könnte. Eine Einstellung des Verfahrens wäre wiederum eine klare Missachtung der Vorgaben des BGH.

Wir halten eine solche Entscheidung des LG Bremen für möglich und zum derzeitigen Zeitpunkt für nicht unwahrscheinlich.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat 2006 die zwangsweise Vergabe von Brechmitteln als Verstoß gegen die Menschenwürde und das Folterverbot bewertet. Laye Condé wurden im Laufe von über einer Stunde gegen seinen Willen und mit großer Entschlossenheit Brechmittel und große Mengen Wasser eingeflößt, während er an Händen und Füßen an einen Stuhl gefesselt war und zunehmend das Bewusstsein verlor. Seine Tötung – die letztlich Ausdruck und Konsequenz einer in Bremen 14 Jahre währenden brutalen und rassistischen Polizeipraxis ist – bleibt jedoch, so müssen wir befürchten, in jeder Hinsicht ohne Folgen. Zum einen wäre die Tötung Laye Condés dann nicht als Unrecht bzw. Verbrechen anerkannt. Zum anderen hat – damals wie heute – keiner der politisch oder exekutiv Verantwortlichen deutliche Worte des Bedauerns für die Angehörigen gefunden oder klargestellt, dass die Tötung eines Menschen im Rahmen staatlicher Maßnahmen ein inakzeptales Unrecht ist.

Eine Verfahrenseinstellung ist in unseren Augen nicht hinnehmbar und käme einer neuerlichen öffentlichen Verhöhnung des Getöteten gleich.

Wir bitten Sie, unsere Sorge ernst zu nehmen, den Prozess aufmerksam zu verfolgen und im Rahmen Ihrer Möglichkeiten Öffentlichkeit zu schaffen.

Bremen, 21.05.2013

Dr. Udo Gerheim
für die Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé

Die nächsten Prozesstermine: 22.05., 24.05., 12.06., 14.06., 18.06, 20.06., 25.06., 26.06., 28.06., 1.07.2013
Weitere Informationen finden Sie hier: http://initiativelayeconde.noblogs.org/

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