Presse-Information vom 26. Mai 2013
Bremer Landgericht will „Brechmittelprozess“ einstellen
Am Freitag, den 24. Mai hat die Schwurgerichtskammer am Landgericht verkündet, dass sie bereits nach der Hälfte der angesetzten Prozesstermine zu der Auffassung gelangt sei,dass das Verfahren gegen den Angeklagten nach § 153a der Strafprozess-Ordnung eingestellt werden sollte. Die ProzessbeobachterInnen von der Initiative in Gedenken an Laye Condé hatten dies entsprechend dem bisherigen Prozessverlauf schon im Vorfeld befürchtet (siehe Presse-Information vom 21. Mai). Die Einstellung des Verfahrens ist rechtlich möglich, ohne dass die Angehörigen von Laye Alama Condé, die durch die Nebenklage im Prozess vertreten sind, dem zustimmen müssen. Anders als bei den beiden früheren Freisprüchen wäre nun auch jegliches weitere Rechtsmittel ausgeschlossen.
Damit käme das Prozessergebnis auch im dritten Verfahren einer neuerlichen öffentlichen Verhöhnung des Toten gleich. Aus Sicht der Initiative in Gedenken an Laye Condé stünde damit am Ende der rechtlichen Auseinandersetzungen über die höchstgerichtlich als Folter bezeichnete Brechmittelvergabe ein weiterer juristischer und politischer Skandal.
Seit dem 9. April 2013 läuft vor dem Bremer Landgericht der nunmehr dritte Prozess um den Tod eines Asylsuchenden im Bremer Polizeipräsidium vor über acht Jahren. Laye-Alama Condé war aus Sierra Leone geflohen und ist am 7. Januar 2005 in Bremen gestorben, getötet im Polizeigewahrsam durch einen zwangsweise durchgeführten Brechmitteleinsatz.
Die ersten beiden Urteile des Bremer Landgerichts gegen einen der damals Verantwortlichen wurde beide vom Bundesgerichtshof kassiert und eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge als zwingend angesehen. Der Vorsitzende Bundesrichter Basdorf fand im Juni 2012 deutliche Worte in Richtung Bremen: „Die Feststellungen des Schwurgerichts ergeben für sich eindeutig einen Sachverhalt, der einen Schuldspruch der Körperverletzung mit
Todesfolge rechtfertigt. In aller Eindeutigkeit.“ Aber offenbar plant nun auch die dritte Bremer Kammer, sich ein weiteres Mal über den Bundesgerichtshof hinwegzusetzen. In ihrer mündlichen Stellungnahme am Freitag bezeichnete die Vorsitzende Richterin Barbara Lätzel das Handeln des Angeklagten als „unglücklich“. Durch eine Einstellung könnte er von dem Druck befreit werden, der seit über acht Jahren auf ihm laste. Eine Einstellung sei zwar rechtlich nicht unproblematisch, orientiere sich aber „am Menschen“.
Nach § 153a StPO kann das Landgericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Beschuldigten das Verfahren einstellen und „zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht.“ Aus Sicht der Initiative in Gedenken an Laye Condé handelt es sich aber bei der Tötung durch die gewaltsame Brechmittelvergabe im Polizeigewahrsam nicht um irgendeinen Fall unter vielen. Das Bremer Verfahren wurde nicht nur in der Juristenausbildung immer wieder zur Diskussion gestellt, schon die beiden BGH-Urteile machen deutlich, wie rechtlich umstritten der Sachverhalt offenbar nach wie vor ist. Das Bremer Gericht muss daher den Sachverhalt bis zum Ende ausermitteln und zu einem Urteilsspruch kommen, der auch weitere Rechtsmittel zulässt, und zwar gerade weil das öffentliche Interesse nach wie vor hoch ist und nicht mit einer einmaligen Zahlung des Angeklagten z.B. an die Staatskasse „beseitigt“
werden könnte. Anders formuliert: wenn ein Mensch im Polizeigewahrsam getötet wird, muss dazu ein Gericht mit einem Urteil Stellung nehmen und darf sich der juristischen Bewertung nicht entziehen. Eine Einstellung gegen den erklärten Willen der Hinterbliebenen wäre ein absolut fatales und falsches Signal.
Ein kurzer Blick zurück:
Der Einsatz von Brechmitteln gegen verdächtige Personen begann in Bremen schon 1992.Die Staatsanwaltschaft ordnete 1995 entgegen schon damals bestehender Bedenken die zwangsweise Verabreichung über eine Nasensonde an, wenn sich ein Beschuldigter weigern sollte. Politisch direkt verantwortlich für die unmenschliche Polizeipraxis war damit der damalige Justizsenator und langjährige Senatspräsident Henning Scherf. Ende Dezember 2004 wurde Laye-Alama Condé aus Sierra Leone, der seit Jahren hier in Bremen lebte, am Sielwalleck von zwei Zivilpolizisten verhaftet und unter Verdacht des Drogenbesitzes in das Polizeirevier Vahr verbracht. An Armen und Beinen gefesselt, wurde ihm von dem Arzt Igor Volz gewaltsam Brechmittel verabreicht und in einer stundenlangen Prozedur über eine Nasensonde so viele Liter Wasser in den Magen gepumpt, dass seine Lungen überfluteten und er erstickte. Laut der Feststellungen der Justiz waren dabei auch die beiden anwesenden Polizisten aktiv tätig. Laye-Alama Condé ist in den Räumen der Bremer Polizei grausam gequält und ertränkt worden. Er wurde 35 Jahre alt.
Der damalige Innensenator Röwekamp rechtfertigte den Brechmitteleinsatz mit den Worten, „Schwerstkriminelle“ (gemeint waren mutmaßliche Kleindealer) müssten eben „mit körperlichen Nachteilen rechnen“, zugleich demonstrierten unter dem Motto „Das war Mord, Herr Röwekamp!“ über 1.000 Menschen gegen „Brechmittelfolter“ und Rassismus. Der heutige SPD-Innensenator Ulrich Mäurer, damals Staatsrat unter Röwekamp, vermerkte lapidar zum polizeilichen Tötungsakt, es gebe „keine Anhaltspunkte, dass die was falsch gemacht haben.“ Ein Wort der Trauer und des Bedauerns gegenüber den Angehörigen Laye-
Alama Condés ging den Verantwortlichen bis heute nicht über die Lippen, ganz zu schweigen von der Übernahme der politischen Verantwortung.
Auch nach acht Jahren und bisher zwei Gerichtsprozessen bleibt festzustellen: Es gibt eine Tat, es gibt einen Toten, aber keine verurteilten Täter. Die beteiligten Polizisten, die den Einsatz eigenmächtig angeordnet hatten und während der Tortur den Kopf und einen Arm von Laye-Alama Condé festgehalten hatten sowie der (damalige) Leiter des ärztlichen Beweissicherungsdienstes Michael Birkholz werden wohl nicht mehr rechtlich belangt werden können. Obwohl der BGH dies in seiner ersten Revisionsentscheidung 2009 noch ausdrücklich angeregt hatte, war die Bremer Staatsanwalt dazu erst dann aktiv geworden, als die Verjährungsfristen der aus ihrer Sicht in Frage kommenden Straftaten bereits abgelaufen waren. Angeklagt war lediglich der beteiligte Arzt. Beide Male wurde er vom Bremer Landgericht freigesprochen, beide Male wurde der Freispruch vom Bundesgerichtshof mit Hinweis auf große Verfahrensfehler und auf die augenfällige Schuld des Arztes kassiert. Zuletzt im Juni 2012: Der BGH bezeichnete das 2. Bremer Urteil unmissverständlich als „fast grotesk falsch“.