Warum ein Denkmal, das an Laye Condé erinnert?
Im Rückblick auf die letzten 20 Jahre lässt sich feststellen, dass die Vergabe von Brechmitteln einen mehrfachen Paradigmenwechsel erfahren hat:
Vom „alltäglichen Beweissicherungsmittel“ hin zu einer Maßnahme, die die Betroffenen „in unmenschlicher und erniedrigender Weise“ straft oder gar als Folter anzusehen ist (Verstoß gegen Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention);
vom unbeirrten Festhalten an [der Notwendigkeit dieser Maßnahme und der Belobigung der ausführenden Beamten und Ärzte hin zu der Erkenntnis, dass durch sie die Würde des Menschen und damit die Würde jedes einzelnen Betroffenen verletzt wurde;
vom selbstgewissen Glauben an die Legitimation staatlichen Handeln zur Einsicht, dass hier die Grenzen staatlich legitimen Handelns überschritten wurden.
Dieser Wandel ist auch in der Sichtweise zentraler politischer Akteure angekommen:
Rückblickend habe es sich „als schlimmer Fehler erwiesen“, dass trotz des Todes von Achidi John „der zwangsweise Brechmitteleinsatz in Bremen weiterbetrieben wurde“, heißt es in einem Brief der SPD-Fraktion an die Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé.
Innensenator Mäurer schreibt uns in Absprache mit Herrn Bürgermeister Böhrnsen: »Der Tod eines Menschen, zumal wenn er in staatlicher Obhut stand, ist schrecklich und nicht zu entschuldigen. Der Schutz der Menschenwürde in Artikel 1 unseres Grundgesetzes gilt für alle Menschen, unabhängig davon, ob sie sich strafbar gemacht haben, nur im Verdacht stehen oder nicht.«
Die Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé fühlt sich durch das Vorhaben, im Viertel ein Denkmal aufzustellen, mit der staatlicherseits geraubten Würde Laye Condés verbunden. Laye Condé wurde in Bremen über zwei Stunden der zwangsweisen Brechmittelvergabe unterzogen; drei Mal musste er über sich ergehen lassen, dass ihm der Sirup Ipecacuanha und große Mengen Wasser mit Gewalt eingeflößt wurden. Laye Condé war 35 Jahre jung und würde aller Voraussicht nach heute noch leben, wenn er nicht am 27.12.2004 im Zuge einer staatlichen Maßnahme ums Leben gebracht worden und am 7. Januar 2005 letztlich gestorben wäre.
Staatliches Handeln hat Laye Condé um sein fundamentales Recht auf Leben gebracht – obwohl das Grundgesetz der Bundesrepublik genau dieses Recht in Artikel 2 ohne Einschränkung garantiert. Artikel 1 dieses Gesetzes beginnt bekanntlich mit den Worten: „Die Würde das Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. So aber ist Laye Condé durch staatliche Gewalt getötet worden und hinterließ eine Mutter und Geschwister, die noch immer um ihn trauern.
Ohne staatliches Zutun würde Laye Condé heute noch leben. Um für diese Tatsache und das Wissen darum die politische Verantwortung zu übernehmen, braucht es ein deutliches Zeichen für die Zukunft. Unserer Ansicht nach ist ein Denkmal ein solches Zeichen.
Führende Bremer Politiker weisen in Briefen an die Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé auf Art. 1 und Art. 2 GG hin (23.10.2013 Innensenator Mäurer, 07.10.2013 SPD-Fraktionsgeschäftsführer Pietrzok) und bezeichnen es als „Fehler, die zwangsweise Vergabe von Brechmittel nicht früher beendet zu haben“ (SPD-Landesvorsitzender Bovenschulte). Dies bedeutet konsequent zu Ende gedacht, dass es von Beginn an ein Fehler war, die gesamte Maßnahme, die spätestens seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Folter bezeichnet werden kann, jemals begonnen zu haben. Es ist ein „Fehler“, den der Bremer Senat, die Justiz, die Bürgerschaft über ein Jahrzehnt verantwortet und den die Bremer Polizei über 1.000 Mal begangen hat.
Im Prozess gegen den beteiligten Polizeiarzt hat der ehemalige Bürgermeister Henning Scherf noch einmal nachdrücklich die langjährige Einmütigkeit und Entschlossenheit aller Verantwortlichen betont. Über 1.000 Mal wurden in der Hansestadt Bremen Brechmittel eingesetzt, die damit den Spitzenplatz in der Bundesrepublik einnimmt.
Unserer Ansicht nach ist die Bremer Politik den Betroffenen dieser über 1.000 Einsätze etwas schuldig. Die Begleichung dieser Schuld muss wohl zum Teil notwendig symbolisch bleiben, da die über ein Jahrzehnt andauernde alltägliche Realität mit ihren gesundheitsschädlichen, traumatisierenden und tödlichen Folgen nicht zurückgenommen werden kann. Ein öffentlich eingeräumtes Eingeständnis von politisch verantwortlicher Seite, dass die Brechmittelvergabe insgesamt ein „Fehler“ war, könnte diese Leerstelle im Ansatz füllen. Darüber hinaus wäre gerade ein über die Zeit bleibendes Zeichen wie ein bleibendes Denkmal unserer Ansicht nach ein probates Mittel.
Das Denkmal in Erinnerung an Laye Condé würde schlussendlich darauf verweisen, dass „so etwas“ nie wieder passieren darf. Denn nicht nur bei der Vergabe von Brechmitteln, sondern überhaupt hat staatliches Handeln die Grenzen seiner Legitimation überschritten, wenn dabei ein Mensch getötet wird. Ein aufgeklärter demokratischer Staat tut gut daran zu zeigen, dass er sich dessen bewusst ist. Insofern würde sich ein Denkmal einreihen in größere Gedenktraditionen, wie sie sich in der Bundesrepublik entwickelt und bewährt haben.
Als Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé wollen wir keine Vorgaben machen, wie ein solches Denkmal konkret auszusehen hat. Mit Blick auf das bisher Gesagte ist aus unserer Sicht jedoch klar, dass es sich um ein deutlich sichtbares Zeichen an einer frequentierten Stelle der Stadt handeln müsste. Der Brückenschlag, den ein solches Denkmal darstellen könnte, wäre aus unserer Sicht auch damit gestärkt, wenn es sich den Erinnerungskulturen annähert, die dem getöteten Laye Condé bekannt waren. In diesem Sinne sind wir im Gespräch mit der Familie des Verstorbenen aus Sierra Leone/Guinea und haben erste Kontakte mit in Bremen lebenden Künstler_innen aus Westafrika aufgenommen.
Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé
Bremen, Februar 2014